Auf ein Wort: Proselyten
Ein merkwürdiges Wort, das sich fast nach einer chemischen Verbindung anhört, Pros-Elythän, oder so. Und tatsächlich ist es eine spezielle Verbindung, nur eben keine chemische, sondern eine gefährliche, geistliche Verbindung.
Als Proselyten (griech. für „Hinzugekommener“) bezeichnete man ursprünglich diejenigen, die zum Judentum konvertiert sind. Das ist im Judentum eher ein Randphänomen, da dieses keine missionarische Religion ist, und der Religionswechsel zum Judentum schwierig oder sogar unerwünscht ist. Dennoch gibt es im Alten Testament einige Beispiele von Menschen, die zum Judentum konvertierten – etwa die Prostituierte Rahab (Josua 6,25) oder Ruth (1,16).
Später wurde Proselyt zur abwertenden Bezeichnung für Menschen, die zum eigenen Glauben bekehrt werden sollen. Schon Jesus warf das den Pharisäern vor: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr Land und Meer durchzieht, damit ihr einen Proselyten gewinnt; und wenn er es geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle, doppelt so schlimm, wie ihr.“ (Mt 23,15) Heute versteht man unter Proselytismus das unethische, manipulative Werben für die eigene Richtung, um die eigene Bedeutung zu unterstreichen.
Eine solche Proselytenmacherei gab es nicht nur im Judentum damals, es gibt sie gerade auch heute unter Christen. Manche angesehene Christen oder Institutionen geht es weniger darum, Menschen zum befreienden Glauben an Jesus zu führen - und dabei ihre Entscheidung zu respektieren - , als vielmehr bereits gläubige Christen von ihrer eigenen Richtung überzeugen. Kennzeichen dafür können sein,
- dass ein Pastor/Lehrer/Blogger dominant wird, dass er quasi letztinstanzlich redet und Menschen um sich schart;
- dass der Meinungskorridor eng wird und der Einzelne nicht zu einer eigenen, auch abweichenden Meinung, ermuntert wird;
- dass die Abgrenzung von anderen Christen zum Markenkern wird, besonders wenn das wortreich bestritten wird
- dass sich die Follower radikalisieren, wie Jesus es sagt, und dann ihren Lehrer darin übertreffen.
Als Christen aber sollen wir niemanden zu uns bekehren oder uns über die Abgrenzung von anderen definieren. Das ist alles recht durchsichtig und platt. Wir haben eine viel größere Aufgabe: Menschen Jesus als den Retter zu bezeugen; sie zu einer eigenen Haltung zu ermutigen und diese zu respektieren; ihnen ein Vorbild zu sein an Glaube, Liebe und Hoffnung; sie an Jesus zu binden und selbst dahinter ganz zurückzutreten. Keiner hat das so schön ausgedrückt, wie ausgerechnet Johannes der Täufer, der keine Proselyten gemacht hat, sondern gesagt: „Ich muss abnehmen (an Bedeutung), er aber, Jesus, muss zunehmen (an Bedeutung)“. Was für eine schöne Haltung!
Christian Pestel
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